Zelte, Essen und Gespräche gegen die Kälte

Ein alter Mann kommt gegen 12 Uhr in den Innenhof hinter der Kirche St.Georg in Stuttgart. Er hat eine Stofftasche unterm Arm und stellt sich geduldig in die kleine Schlange von Menschen vor dem Tisch, hinter dem Gabriele Großhans und Dilek Sagim stehen und Gläser mit Eintopf verteilen. Dazu gibt es Tee, ein wenig Obst und manchmal bringen Spender_innen auch etwas Süßes zum Nachtisch vorbei. Der alte Mann ist an der Reihe und nimmt sein Glas mit Essen entgegen. „Darf ich auch was für meine Frau mitnehmen?“, fragt er und bekommt dann natürlich noch ein zweites Essen. Er steckt beides in seinen Stoffbeutel und geht wieder, andere Gäste nutzen die Bänke im Zelt, das kurz vor Weihnachten im Innenhof von St. Georg aufgestellt wurde und in dem Gasstrahler für ein wenig Wärme in diesem kalten Winter sorgen.

Ein besonders harter Winter für Menschen, die wenig haben

Für Menschen, die obdachlos sind, für Menschen, die wenig Geld haben ist dieser Corona-Winter besonders schlimm. Und viele Orte, an denen sie bislang Hilfe finden konnten, müssen geschlossen bleiben oder konnten ihre Angebote nur noch begrenzt anbieten. So auch die Olga46, die Tagesstätte für Obdachlose des Caritasverbandes in Stuttgart: Auch hier können die Menschen nicht mehr im gemütlichen Aufenthaltsraum sitzen und Essen gibt es nur noch „to go“. Schon im Herbst, als es draußen noch mild war, dachten die Mitarbeiter_innen in der Olgastraße daran, wie sie für die Menschen Orte finden können, an denen ein bisschen Wärme ist und trotz aller Distanz-Gebote ein wenig Kontakt möglich sein könnte.

Kirche ist eben auch Caritas

In der Kirchengemeinde St. Georg stieß der Hilferuf auf offene Ohren: „Für mich war das fast wie ein Geschenk, dass die Mitarbeiter_innen der Olgastraße auf uns zugekommen sind“, sagt Christine Göttler-Kienzle, Gemeindereferentin in St. Georg. Kirche ist neben Verkündigung und Liturgie eben auch Caritas: Sie bietet Hilfe für Menschen, die in Not sind und Unterstützung brauchen. Die Zusammenarbeit von Caritas als Institution in der Stadt, repräsentiert durch den Caritasverband für Stuttgart, und den Kirchengemeinden, ist eine Herzensangelegenheit von Christine Göttler-Kienzle.

Orte der Begegnung schaffen

Dabei geht es ihr auch darum, Orte zu schaffen, an denen Begegnungen möglich sind. Und das ist, so ihre Erfahrung, nicht nur in Corona-Zeiten eine Herausforderung. Viele Menschen, auch in der Gemeinde, hören von Armut, sehen im Vorübergehen obdachlose Menschen auf der Straße – aber Kontakt haben sie nicht. Christine Göttler-Kienzle kann sich deshalb auch gut vorstellen, dass Ehrenamtliche aus der Gemeinde nun bei der Essensausgabe helfen, dass in der Gemeinde über diese Initiative hinaus auch noch weitere Ideen entstehen können, auch wenn Corona unseren Alltag nicht mehr bestimmt.

Neue und alte Gesichter

Nach den ersten Tagen im Hof von St. Georg sehen die Mitarbeiter_innen aus der Olgastraße, neben den Gästen, die regelmäßig in die Tagesstätte kommen, nun auch neue Gesichter. Falko Freund, Einrichtungsleiter aus der Olgastraße, beobachtet seit dem Beginn der Pandemie, dass die Zahl der Menschen, die in der Olga nach Hilfe suchen, zunimmt. Und die Not auch in Kreise vordringt, die sich bislang noch selbst helfen konnten. Manche Rentnerin, mancher Rentner, die sich mit Flaschen sammeln etwas dazu verdient haben, sind nun auf ihre kleine Rente angewiesen – für viele zu wenig zum Leben. Zum Zelt an der Kirche kommen auch Menschen, die nicht in die Olga46 gehen würden – der Platz an der Kirche kann auch Hemmschwellen senken. Falko Freund ist froh darüber, dass sich über die ganze Stadt ein stabiles Hilfenetz spannt: Von der Vesperkirche bis hin zur Versorgung an der Paulinnenbrücke bei der Kirche St. Maria und nun auch in St. Georg haben die Menschen verschiedene Möglichkeiten, Unterstützung zu bekommen. Die Hilfeangebote an verschiedenen Orten in der Stadt sollen auch verhindern, dass sich die Menschen in Corona-Zeiten zu viel in der Stadt bewegen müssen.

Menschen stehen vor der Essensausgabe im Hof von St. Georg an.

Wieder ein bisschen Gemeinschaft erleben

Es ist kalt in diesen Tagen. Die Menschen, die hier helfen, die Mitarbeiter_innen aus der Olgastraße, die ehrenamtlichen jungen Menschen, die ihr soziales Jahr machen, bekommen jetzt einen Pavillon, der sie ein wenig schützt. Im Zelt nebenan wird gegessen, An den drei Bänken haben zwölf Menschen Platz. Die Heizstrahler wärmen, das Essen und auch die Gespräche, die man hier führen kann, tun gut. Und natürlich dass da Menschen sind, die zuhören und jedem, der sich ein Essen abholt, einen Guten Appetit wünschen. Das Projekt wird unterstützt vom Lions Club Fontana, der Stiftung L(i)ebenswert der PSD-Bank, von der Firma Ritter Sport aus Waldenbuch, der Kirchengemeinde St. Georg und der Polizei Stuttgart, die nachts nach den Zelten schaut.