Soziale Arbeit in Zeiten von Corona

Die weltweite Pandemie hat alles verändert. Für viele Klient_innen werden die Auswirkungen wohl fatal sein. Ein Blick auf das „Haus im Süden“.

Blick aus dem Garten auf das „Haus im Süden“

Ein Donnerstagmittag im Juli 2020 im „Haus im Süden“. In der Küche des zweiten Stocks kochen drei Klienten gemeinsam Mittagessen. Unten in der Raucherecke sitzen vier weitere Klient_innen und unterhalten sich angeregt, während im Garten ein weiteres Grüppchen zusammen im Schatten sitzt. Im ersten Stock plätschert eine Dusche. Eine Klientin klopft gerade an der Bürotür ihrer Therapeutin. Ein Einzelgespräch steht an. Ein ganz normaler Donnerstag im „Haus im Süden“? Vielmehr ein Corona-Donnerstag. Denn an einem „normalen“ Donnerstag wären um diese Zeit kaum so viele Klient_innen im Haus. Sie wären beim Arbeitstraining, würden sich damit um ihre berufliche Zukunft kümmern, was ein zentraler Bestandteil der Maßnahmen eines Adaptionszentrums wie dem „Haus im Süden“ ist. Doch die Krise, sie hat alles verändert. Die frühere Normalität ist Umständen gewichen, deren Auswirkungen für die Klientel im „Haus im Süden“, Menschen mit einer Suchterkrankung, vermutlich fatal sein werden.

Thomas Weidle, Hausleiter

Corona. Sowohl für die Mitarbeitenden im „Haus im Süden“ als auch für die Klient_innen war dieser Begriff seit Ausbruch der Pandemie vor allem mit Unsicherheit verbunden. Thomas Weidle, Leiter der Einrichtung und des Fachdienstes Reha im Bereich der Sucht- und Sozialpsychiatrischen Hilfen, erinnert sich: „In den ersten beiden Wochen wussten wir nicht einmal, ob wir die Einrichtung weiterbetreiben konnten.“ Denn es war unklar, ob das Angebot, das an die vorgegebenen Schutzvorschriften angepasst werden musste, seitens der Kostenträger überhaupt anerkannt werden würde. Dazu kam, dass es lange keinen Ansprechpartner beim Gesundheitsamt gab. „Mit dieser Unsicherheit zu arbeiten, war schwer“, sagt Thomas Weidle. Umso erleichternder war es dann Ende März, als die erlösende Nachricht kam: Das „Haus im Süden“ darf weitermachen.

„Es stand alles auf dem Kopf“

Wobei „weitermachen“ nicht wirklich beschreibt, wie es tatsächlich weiterging. „In der Adaption stand alles auf dem Kopf“, sagt Wolfgang Österle, stellvertretender Leiter des Hauses und Bezugstherapeut. Das ganze Programm der Adaption musste geändert werden. Es gab kaum mehr Face-to-face-Kontakte, die Kollegen arbeiteten in gesplitteten Teams, wobei sich eines immer im Homeoffice befand. Mit den Klient_innen wurde von dort aus nur telefoniert. Die Gruppenangebote im Haus wurden ausgeweitet, weil kleinere Gruppen notwendig wurden. Seit Beginn der Krise gar nicht mehr möglich sind die sonst üblichen Vorstellungsrunden, zu denen Neubewerber für die Adaption normalerweise ins Haus kommen, um sich alles anzuschauen und ein Gespräch mit einem Therapeuten zu führen. Für Wolfgang Österle ist das eine der schlimmsten Folgen der Krise: „Die Menschen sitzen in den Therapiekliniken und treffen eine wichtige Entscheidung für ihre Zukunft, können sich aber nicht einmal vor Ort informieren, wo sie hinkommen.“ Ebenso negativ empfindet er den Wegfall des Arbeitstrainings, weil die Kooperationsbetriebe dieses in den allermeisten Fällen eingestellt haben. Nach wie vor geht in der Beziehung nichts. Für Wolfgang Österle fatal: „Durch diese Praktika in Betrieben ergeben sich für die Menschen Möglichkeiten. Sie knüpfen Kontakte, das Arbeitstraining fördert das Selbstbewusstsein und es schafft Perspektiven.“ Doch seit Corona gibt es das alles nicht mehr. Dabei wird nach der Adaption auch seitens der Kostenträger eigentlich ein konkretes Ergebnis erwartet. Für die Betroffenen ist vor allem eines die Folge: große Verunsicherung.

Die persönlichen Kontakte haben gefehlt

Ein Teilnehmer des Malateliers, das im “Haus im Süden” infolge der Krise als tagesstrukturierendes Angebot geschaffen wurde.

Diese ist auch im betreuten Wohnen spürbar, das ebenfalls im „Haus im Süden“ angegliedert ist. Auch hier hat sich an der Arbeitsweise Vieles geändert. Auch hier waren die Mitarbeitenden wegen der geteilten Teams wochenweise gar nicht in ihren Büros zu erreichen, Gespräche fanden nur telefonisch oder per Mail statt. Eine große Herausforderung hierbei waren beispielsweise Sprachbarrieren. „Vielen Bewohner_innen haben die persönlichen Kontakte gefehlt“, sagt Sozialarbeiterin und Verhaltenstherapeutin Sarah Stürtz. Für sie war es ein Gefühl, die Klient_innen von heute auf morgen allein zu lassen. Dabei ergaben sich gerade durch die Corona-Krise neue Probleme: Arbeitsgelegenheiten wurden eingestellt, Jobcenter-Maßnahmen auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Weiterkommen der Menschen wurde in vielen Bereichen einfach gestoppt. Und noch eine weitere Härte erkennt Thomas Weidle gerade im Bereich des betreuten Wohnens: Menschen konnten nicht wie sonst üblich weitervermittelt werden. Wer beispielsweise wegen Rückfälligkeit entlassen werden musste, konnte nicht darauf hoffen, in einer Notunterkunft aufgenommen zu werden. Mehr, als dem oder der Betroffenen einen Schlafsack in die Hand zu drücken, war nicht möglich.

Gibt es in der Sozialen Arbeit eine Rückkehr zur Normalität? „Nur eine vermeintliche“, sagt Thomas Weidle: „Es fühlt sich an wie walking on glass.“ Bei ihm stellt sich allmählich das Gefühl ein, es geschafft zu haben, auch wenn er dem momentanen Frieden und der neuen Normalität noch nicht traut. Der Krise Positives abzugewinnen, fällt schwer. Aber immerhin gibt es einige gute Dinge. Für Wolfgang Österle und Thomas Weidle sind es die technischen Entwicklungen (Stichwort: Homeoffice), die so schnell vermutlich nicht zustande gekommen wären. Wichtig ist für Thomas Weidle auch die Erfahrung, dass bisherige Katastrophenpläne in der Praxis schnell versagt haben: „Hier gilt es, andere künftige Szenarien ganz konkret durchzuspielen und sich zu wappnen.“

Kater Garfield hat immer ein offenes Ohr für die Bewohner_innen im „Haus im Süden“.

Für noch nicht absehbar hält der Einrichtungsleiter, was die Krise längerfristig für Auswirkungen auf die Klientel im „Haus im Süden“ hat. Seine Vermutung zeichnet ein düsteres Bild: „Wenn Betriebe Pleite gehen, werden unsere Leute ganz hinten stehen.“ Eine andere Auswirkung ist für ihn bereits deutlich sichtbar und verbildlicht sich in endlosen Schlangen vor den Tafeln. Thomas Weidle: „Die Armut wird sichtbarer. Die milliardenschweren Hilfspakete werden nicht ausreichen, um das alles abzufedern.“

Das Haus im Süden

Das Adaptions- und Nachsorgezentrum „Haus im Süden“ ist ein Angebot für Menschen mit einer Alkohol-, Drogen- oder Glücksspielsucht, die nach absolvierter Entwöhnungsbehandlung noch weitere Unterstützung brauchen. Ein wichtiger Bestandteil der Adaption ist die berufliche Orientierung. An die Adaption angegliedert ist das abstinent geführte, ambulant betreute Wohnen. Hauptsächlich Klient_innen aus dem „Haus im Süden“ nutzen nach der Adaption dieses Angebot, um mit Unterstützung wieder in einen geregelten Alltag zu finden.

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