Die Träger der Stuttgarter Migrationsberatungsstellen haben zum bundesweiten Aktionstag der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) am 14. September einen Rundgang zu den wichtigsten Einrichtungen organisiert, mit denen sie im Alltag zusammenarbeiten. In Stuttgart wird die Migrationsberatung von Caritas, eva, AWO, AGDW, ViJ, IRGW und Landsmannschaft der Deutschen aus Russland getragen.
Stadtrundgang durch Stuttgart
Wir sammeln uns im Innenhof vom Alten Waisenhaus für unseren Stadtrundgang. In dem Gebäude am Charlottenplatz sind nicht nur die ifa-Akademie, der Weltladen mit Weltcafé und das Deutsch-Amerikanische-Zentrum untergebracht, hier befindet sich auch das Welcome Center. Es ist unsere erste Station auf unserem Rundgang. Später besuchen wir noch die Ausländerbehörde, das Jobcenter, eine Sprachschule und die Beratungsstelle MIRA. An allen Stationen führen wir Gespräche mit Mitarbeitenden und unterhalten uns mit Zugewanderten über ihre Situation und wie sie die Unterstützung durch die MBE wahrnehmen. Unsere Gruppe zählt 23 Personen. Neben Mitarbeitenden aus dem Netzwerk der Migrationsberatungsstellen, gehen auch die drei Stadträtinnen Dr. Maria Hackl (SPD), Beate Bulle-Schmid (CDU) und Rose von Stein (Freie Wähler) mit und informieren sich interessiert. Auch Gari Pavkovic, Leiter der Abteilung Integrationspolitik bei der Stadt, ist heute dabei.
Das Welcome Center ist die zentrale Anlauf- und Erstberatungsstelle für zugewanderte Menschen in der Region, egal ob aus dem In- oder Ausland. Mitarbeitende von Caritas und AWO arbeiten mit einigen Stellenanteilen auch im Welcome Center, um die Beratung noch besser mit den Migrationsberatungsstellen zu vernetzen. Wir bleiben im Innenhof, da wir Corona-bedingt mit der großen Gruppe nicht ins Gebäude dürfen. Hier unterhalten wir uns mit Diana, einer jungen Ukrainerin, die im März nach Deutschland geflohen ist. Übers Welcome Center hat sie eine erste Orientierung erhalten und wurde an den Jugendmigrationsdienst (JMD) vermittelt. Dianas Geschichte berührt uns und es gäbe noch viel zu erzählen und zu fragen, aber wir müssen weiter zur nächsten Station: der Ausländerbehörde.
Zusammenarbeit ist sehr wertvoll
Hier erwartet uns schon der leitende Mitarbeiter, Christian Schumann. Er berichtet von den aktuellen Herausforderungen, dass der Fachkräftemangel auch bei Ihnen keinen Halt macht, aber auch wie wichtig die Zusammenarbeit mit den Migrationsberatungsstellen ist. Oft könnten Fragen schon in der Migrationsberatung geklärt werden, bevor die Menschen zur Ausländerbehörde kommen.
Auf dem Weg zur dritten Station, der Zweigstelle des Jobcenters in Stuttgart-Mitte, beginnt es zu regnen. Wir spannen die Schirme auf und sind froh, als wir uns im Hauseingang vor dem Jobcenter unterstellen können. Kamal Ahmad, persönlicher Ansprechpartner für Klient_innen des Jobcenters, erwartet uns schon mit zwei Klient_innen. Nafisa ist aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Sie erzählt, dass sie ihren persönlichen Ansprechpartner nicht immer erreichen konnte, vor allem während des Lockdowns. Ulrike Gremminger, Mitarbeiterin im Migrationszentrum der Caritas, und Kamal Ahmad überlegen, wie sie dem Problem in Zukunft begegnen könnten. Die Migrationsberatungsstellen nähmen hier immer wieder eine wichtige Vermittlerrolle ein, berichtet Ulrike Gremminger. Auch wenn es nicht zu ihren Aufgaben zähle, die Arbeit des Jobcenters aufzufangen.
„Man muss sich einfach trauen“
Ein bisschen lässt der Regen nach als wir uns auf den Weg zur Sprachschule Henke Schulungen machen. Wir treffen hier auf ein paar Sprachschüler_innen, u.a. auf Sakina. Die 25-jährige ist vor einem halben Jahr aus Indien gekommen. „Man darf keine Angst haben, man muss sich trauen Deutsch zu sprechen,“ sagt sie, als sie gefragt wird, was sie anderen Zugewanderten rät. „Und man muss keine Angst haben,“ lacht Sakina. Denn die Deutschen seien sehr hilfsbereit. Sie möchte als Physiotherapeutin in Deutschland arbeiten und ist dankbar für die Hilfe ihrer Migrationsberaterin und ihrer Lehrerin, die sie hierbei unterstützen.
Nach einer kleinen Pause mit Snacks und Getränken machen wir uns auf zu unserer letzten Station: Gegenüber vom Haus der Wirtschaft liegt die Beratungsstelle MIRA. Hier werden Zugewanderte aus Nicht-EU-Ländern in Fragen zum Arbeitsrecht beraten. Was Pedro (Name geändert) erzählt, schockiert: Er ist seit ein paar Monaten aus Brasilien gekommen und arbeitet für einen Bauunternehmer. Dieser nutzt schamlos aus, dass Pedro wenig Deutsch spricht. Der Arbeitgeber hat ihm seinen Arbeitsvertrag nicht unterschrieben und zahlt ihm Überstunden nicht aus, behält sogar einen Teil seines Lohns ein. Bei MIRA wird Pedro vorgerichtlich über seine Möglichkeiten beraten. „Die Chancen stehen gut, in so einer Situation den Prozess vor dem Arbeitsgericht zu gewinnen,“ sagt Berater Carsten Matthias. „Nur wissen das wenige und trauen sich erst gar nicht, vor Gericht zu ziehen.“
Eindrücklicher Stadtrundgang
Als der Stadtrundgang zu Ende geht, sind wir zwar etwas erschöpft, aber gut informiert und hoffnungsvoll: Der Rundgang hat eindrücklich gezeigt, wie wichtig die Arbeit der Migrationsberatungsstellen für zugewanderte Menschen ist. Die Beratungsstellen sind gut vernetzt und bieten im oft unübersichtlichen Hilfesystem wertvolle Orientierung und Unterstützung. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen von Inklusion!
Nachbesserung im Haushaltsentwurf des Bundes
Der Aktionstag stand im Zeichen eines politischen Aufrufs: Im ersten Haushaltsentwurf des Bundes für das Jahr 2023 hätte den Migrationsberatungen eine Kürzung von Bundesmitteln in Höhe von 22 Mio. Euro gedroht. Das hätte bedeutet, dass jede 4. MBE schließen muss. Überall im Bundesgebiet haben MBE am Aktionstag ihre Arbeit vorgestellt und dafür geworben, die Gelder nicht zu kürzen. Die Stuttgarter MBE haben in den vergangenen Wochen auch mit Bundestagesabgeordneten der Stuttgarter Wahlkreise Gespräche geführt. Jetzt gibt es gute Neuigkeiten: Auf Initiative der SPD-Bundestagsfraktion wird die Finanzierung der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) nicht gekürzt, sondern sogar etwas erhöht. Dies hat die Ampelkoalition am 28.09.2022 im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages bei der Beratung zum Etat des Bundesinnenministeriums für 2023 beschlossen.
Fotos: Noémie Royer AWO Stuttgart