Sich seiner Talente bewusst zu werden, ist wie eine Schatzsuche. Aufregend, voller Hindernisse, doch das Ergebnis ist sensationell und funkelnd. Und gemeinsam macht die Suche gleich noch mehr Spaß.
Seit vier Jahren gibt es an der Volkshochschule vhs Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Bildungs- und Begegnungsstätte TREFFPUNKT einen inklusiven Kurs „Meine Talente stärken, den inneren Schatz heben“. Die Teilnehmer_innen meldeten den Wunsch nach einem Vertiefungskurs an, so entstand der zweite Teil „Meine Talente im Alltag.“ Entstanden ist das Angebot aus dem Projekt „Aufbruch“, in dem drei Jahre lang die vhs und der Caritasverband für Stuttgart e.V. eng kooperierten mit dem Ziel, inklusive Erwachsenenbildung voranzubringen.
Es kommt nicht darauf an, ob man eine Behinderung hat
Inklusiv sind bei diesem Seminar nicht nur die Teilnehmenden, sondern auch die beiden Dozentinnen. Birgit Körner ist Sozialpädagogin bei der Bildungs- und Begegnungsstätte TREFFPUNKT. Ranjeeta Chawla hat eine Sehbehinderung. Über die Nikolauspflege hat sie eine Ausbildung zur Alltagsbetreuerin gemacht und arbeitet nun in der Betreuung von Menschen mit Behinderung in Ostfildern. Ihre ambulante Betreuung erfolgt über den Caritasverband. Sie kann sich besonders gut einfühlen, wenn es darum geht, mit Handicap ein Ziel zu erreichen. Wenn sie aus ihrem Leben erzählt, zum Beispiel über ihren Weg von einer Werkstatt für behinderte Menschen zu ihrem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz, hören die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ganz genau zu. Sie vermittelt anschaulich: Um ein Ziel zu erreichen, ist es egal, ob man eine Behinderung hat oder nicht. Es kommt auf andere Dinge an.
In diesem Herbst fanden beide Kurse statt. Da die vhs eine Bildungsstätte ist, konnte sie trotz teilweisem Lockdown einen großen Teil ihrer Angebote durchführen. Okay, man braucht das Übliche, das was schon seit Monaten zu unserem Alltag gehört: eine Maske, Abstand und regelmäßiges Lüften. Doch die Teilnehmer_innen gingen vorbildlich mit der Situation um. Es gab sogar einen Lüftungsbeauftragten, der regelmäßig die Fenster öffnete, um die Aerosole nach draußen zu befördern!
Der ganze Körper steckt voller Talente
Im ersten Seminar erstellten die Teilnehmer_innen im Laufe des Seminartages einen Körperumriss, den sie nach und nach füllten: In die Beine, denn das ist unsere stabile Basis, kommen die ganzen Talente. Immer wieder sind die Teilnehmer_innen dabei erstaunt, wie dicht gefüllt dieser Bereich ist. Talente werden leider häufig übersehen oder gar nicht wahrgenommen. Doch schon eine freundliche, aufgeschlossene Art ist ein Talent, das nicht jeder hat. In den Kopf kommen die Themen, an denen die Teilnehmer_innen noch arbeiten wollen. Davon pickt sich jede_r eines heraus, formuliert es als Ziel und schaut sich Schritt für Schritt an, wie man sich diesem Ziel nähern kann. Werner formuliert für sich: „Ich möchte endlich lernen, wie ich die Waschmaschine bediene.“ Gemeinsam wird dann überlegt, welche Hilfen er dafür braucht. Rasch fällt ihm seine Sozialbetreuerin ein: „Die werde ich fragen.“ Auf die Schulter kommen die gelben Kärtchen: Diese beinhalten alles, worauf man stolz ist. „Ich bin stolz darauf, dass ich anderen eine gute Freundin bin,“ schreibt Anna auf eine ihrer Karten. In die Arme kommen die Namen der Menschen, die einem wichtig sind, egal ob aus dem beruflichen oder dem privaten Umfeld. Und wenn es mal richtig schwierig wird, braucht man einen Notfallplan. Gemeinsam werden dafür Ideen gesammelt: Vom Genuss von Schokolade, über das Gespräch mit einem guten Freund und einem strammen Spaziergang ist alles dabei und jeder klebt sich seine Ideen in den Bauch. Nun ist der Körperumriss gefüllt, wird bestaunt, beklatscht, zusammen gerollt und stolz nachhause getragen.
Eine wahre Schatzsuche
Im zweiten Kurs gibt es eine Vertiefung. Jede_r Teilnehmer_in beschäftigt sich mit seinem Lebensweg. Wie wurde ich zu dem Menschen, der ich heute bin? Welche Talente habe ich dabei entwickelt? Welche haben mir genutzt? Auch hier ist es so, dass keiner darüber nachdenkt, wer in der Runde eine Beeinträchtigung hat. Wichtig ist das, was man schon erreicht hat.
Eine Phantasiereise führt danach ins Reich der Wünsche und Träume. Diese werden niedergeschrieben oder gemalt. Doch nur zu träumen, bringt das was? Nicht, wenn man wirklich was erreichen und verändern will. Deshalb werden als nächstes wieder Ziele formuliert, genau abgeklopft, ob sie erreichbar und überhaupt erstrebenswert sind und in kleine Zwischenziele aufgeteilt. Exemplarisch wird an einem Teilnehmer gezeigt, welche Hindernisse er auf dem Weg zu seinem Ziel vermutet und mit Unterstützung der Gruppe werden viele Ideen gesammelt für Lösungen, um diese Hindernisse zu überwinden.
Beide Seminartage vergingen rasch, waren gefüllt mit emsigem Arbeiten, mit Staunen und Freude am Entdecken. Eine richtige Schatzsuche eben.
Informationen
Mehr Informationen zum TREFFPUNKT erhalten Sie hier: https://www.caritas-stuttgart.de/hilfe-beratung/behindertenhilfe/freizeit-und-bildung/bildungs-und-begegnungsstaette-treffpunkt/bildungs-und-begegnungsstaette-treffpunkt